Toxic masculinity revisited - mit David Shields

In den USA, wo es eine ausgearbeitetere Tradition und Kultur der literary non-fiction gibt als bei uns, ist der dreiundsechzigjährige David Shields als Schriftsteller, Filmemacher und Literaturprofessor eine zwar umstrittene, aber allgemein respektierte öffentliche Person. Seine Bücher spielen auf den Bestellerlisten der New York Times eine Rolle, seine Stimme hat in den politischen und literarischen Debatten des Landes Gewicht. In Deutschland wurde die Übersetzung von“Reality Hunger” 2011 mit respektvoller Verwunderung zur Kenntnis genommen und als Aussenseiterposition abgebucht. Es war der manifestartige Vorschlag einer Gattungstradition, die er self-deconstructive nonfiction nennt. Diese anspruchvoll-disruptive Kombination aus Autobiographie, Zitatfeuerwerk, Pastiche und Gedankendrama fordert die Leserin auf jeder Seite intensiv. Sie passt wenig auf die Vorerwartungen eines Literaturbetriebs, der es einerseits liebt, sich in den spannungsreichen Handlungsbögen und politischen Aktualitätsbezügen einer neonaturalistischen Kunstindustrie zu verlieren und die andererseits die so chancenreiche und wandlungsfähige Gattung des Essays einzig als “epideiktische” (Georg Stanitzek) Sonntagsrede über die angeblich grossen Themen kennt und pflegt. Dass eine auch formal zeitgenössische Essayistik den relevanten Fragen der Zeit womöglich umstandsloser und flüssiger nahekommt als Problemroman und Leitartikelessay, kann man anhand der Lektüre der beiden letzten (noch unübersetzten) Bücher David Shields instruktiv studieren. Ihr Thema verdankt sich der Anwendung des bewährten oral-history Mantra “Grab wo du stehst” auf die eigene Person. Sie bringen die erwähnte bricolage nichtfiktionaler Erzählweisen bei der Untersuchung eines vieldiskutierten und politisch folgenreichen Themas in Anschlag. Shields benutzt diese Methoden für die literarische Tiefenausleuchtung toxischer Männlichkeit. Das Syndrom gewaltförmig überkompensierter Unterlegenheitskomplexe, das unter anderem durch #MeToo einer massenhaften öffentlichen Kritik zugeführt wurde, ist ein paradox zusammengesetztes Gefühlskonglomerat. Grandiose und depressive seelische Komponenten kommen in bestimmten Machtkonstellationen auf explosive Weise zusammen und verhalten sich dann wie die Bestandteile eines Kompositsprengstoffs. Das erste der beiden Bücher über dieses explosive innere Gemisch, “Nobody hates Trump more than Trump. An Intervention” von 2018 bildet die elaborierte Antwort auf eine einfache Frage: “Warum bin ich mein Leben lang zur Zielscheibe von bullies geworden? War es mein Stottern, das mich daran gehindert hat, ihnen direkt entgegenzutreten? Und womit reden sich alle anderen heraus?” Diese Frage ist typisch für den involvierenden Denk- und Darstellungsstil dieser Bücher, die den Leser zurückführen in die eigene Geschichte vis à vis gewisser Kindheitserlebnisse auf dem Schulhof vor Jahrzehnten oder in die eigene Sprach- und Machtlosigkeit in der hierachietrunkenen Männerrunde neulich, als jeder zu laut lachte und zu verzweifelt mit einem noch zugkräftigeren Thema noch aggressiver und dümmer zu Wort zu kommen versuchte als der Vorredner: der sattsam bekannte corporate hee-haw. In solchen Momenten entsteht die Sehnsucht nach jener Art von Zuspruch, die – wie Wittgenstein irgendwo sagt – der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas weisen könnte. “‘Ich wünsche mir schon so lange ein vollkommen zeitgenössisches Bedienungshandbuch darüber, wie man einen bully aufs Kreuz legt, in dem die Erkenntnisse unserer besten Köpfe – Philosophen, Soziologen, Neurowissenschaftler – sogar Komiker – sich dieser Herausforderung stellen. Natürlich habe ich dieses Buch nie gefunden.’ Hey Mann, du liest es gerade.” Bedienungshandbuch (manual) ist allerdings eine irreführende genretheoretische Selbstcharakteristik des Buchs. Ein Bedienungshandbuch würde einen systematischen Aufbau der Argumentation erwarten lassen. Aber Shields Buch gleicht in Wirklichkeit eher einem assoziativen Werkzeugkasten, in dem sich eigene Äusserungen Donald Trumps (der sich in seinen öffentlichen Einlassungen bekanntlich viel mit sich selbst und seinen inneren Regungen beschäftigt), analytische Einsichten anderer Autoren und nicht zuletzt David Shields’ seelengeologische Versuchsbohrungen in die eigene Psyche um ein komplexes Bild des Geschäftsmanns, Gesellschaftslöwen, Real-TV-Stars und Politikers Donald Trump konstellieren. Es ist das Tiefenportrait eines fast borderlineartig unsicheren Mannes von ursprünglich recht begrenzten Fähigkeiten und Erfolgen, den Wohlstandsverwahrlosung und eine vollständige Verinnerlichung einer Vulgärversion des American Way of Life in eine machtgestützte Wirklichkeitsverweigerung getrieben hat. Die gedankliche Wendung, die Shields’ Buch nun tatsächlich zu einer so wirksamen intervention macht, besteht darin, dass er diese komplexe und widersprüchliche Figur sich nicht durch Polemik, “Entlarvung” und Abscheu vom Leib hält (wie es der Rest seiner liberalen community bis zum Überdruss hält), sondern dass sie psychische Konstellationen, die diesen Präsidenten möglich gemacht haben, nicht zuletzt in der eigenen Psyche dingfest macht – eine analytische Leistung, die dem Spiel zwischen Übertragung und Gegenübertragung in der talking cure gleicht. Der 45. Präsident der Vereinigten Staaten wird durch dieses Verfahren erkennbar als die Figur des “Angstbeissers” – eines frühen Opfers von bullying, die zum bully wird, um nie wieder in diese demütigende Lage zu kommen. Die lockere gegenstrebige Fügung (die Shields’ kurze Bücher übrigens zu einer überraschend zeitraubenden Lektüreerfahrung machen) zieht die Leserin in diese Selbsterforschung als politische Charakterkunde unwiderstehlich hinein. Man hält oft inne, um sich durch die immer auf eine Pointe hin gearbeiteten Kurzabschnitten auf seine eigenen inneren Reisen schicken zu lassen. Solche inneren Reisen gewinnen im zweiten, an das Buch über Donald Trump anschliessenden und durch die Doppelverwendung zahlreicher bricolage-Elemente mit ihm verklammerten “Männerbuch” David Shields’ eine Radikalität, die seine Lektüre zu einer seitenweise fast unerträglichen Selbsterfahrung macht. “The Trouble with Men. Reflections on Sex, Love, Marriage, Porn und Power” (2019) ist eine Art Brief des Schriftstellers an seine Ehefrau und eine Analyse des eigenen Masochismus, die diese Variante des Sexual- und Seelenlebens mit einer literarischen Energie in das Licht des Sagbaren und Anschaubaren zieht, die an Baudelaires “Mon cœur mis à nu”, an Roand Barthes’ “Fragments d’un discours amoureux” oder an die Vivisektionen der männlichen Eifersucht in Prousts “Recherche” erinnert. Überraschend ist an Shields’ Selbstanalyse der politische Ansatz. Sex, Pornographie, Liebe, Ehe, Macht und das Stottern (dem Shields einen frühen, traditionell-fiktiven Entwicklungsroman gewidmet hat) sind in seinem neuesten Buch Untersuchungsfelder auf denen jene schon erwähnte autobiographische Grundfrage verhandelt wird: “Warum bin ich mein Leben lang zur Zielscheibe von bullies geworden?” Denn die männliche Verletzung, um die es David Shields geht, hat nicht nur eine grandiose, laute und gewalttätige Seite, sondern auch eine depressive, deren politische Dimension und Folge dieselbe Identifikation mit dem Aggressor darstellt, die Millionen politisch und ökonomisch marginalisierte Amerikaner 2016 dazu gebracht hat, sich mit einem narzisstisch gestörten Milliardär zu identifizieren. Aber auch die Unterwerfungslust, die ihre Kinder dazu treibt, während ihres teuer bezahlten Studiums die vielfältigen Selbstgeisselungsangebote der Identitätspolitik wahrzunehmen, stammt aus trüben Quellen. “Oft scheinen die Werte, die in der akademischen und literarischen Kultur Geltung haben, das genaue Gegenteil derjenigen zu sein, die das Trump-Universum regieren. In Wirklichkeit ergänzen sie sich aufs Genaueste.” Das erste dieser beiden Büchern schildert, wie ein bully entsteht, das zweite, wie seine willigen Opfer zugerichtet werden. Liegt der Quellpunkt der erotischen und dann auch politischen Unterwerfung in dem “Stottern, das mich daran gehindert hat, ihnen direkt entgegenzutreten? Und womit reden sich alle anderen heraus?” So schwer das alles seitenweise zu lesen ist, so deutlich treibt es den Leser in eine Art innerer Rebellion hinein, die der Autor möglicherweise gar nicht intendiert hat, die aber zu den politischen Wirkungen seines Buchs gehört. Man wünscht nämlich unwillkürlich, dass das Diptychon dieser beiden schrecklichen, interessanten und wichtigen Bücher mit einem dritten zu einer Trilogie ergänzt werden möge. Man ist sich instinktiv sicher, dass ein solcher (noch?) imaginärer dritter Teil von Shields’ Unternehmung der Wittgenstein’schen Fliege einen Ausweg aus dem Fliegenglas zeigen könnte. Die toxische Dialektik zwischen dem narzistischen bully und dem depressiven Stotterer – das kann, so ist man dann unwillkürlich überzeugt, nicht das letzte Wort der Männlichkeit im einundzwanzigsten Jahrhundert gewesen sein. Die Sehnsucht nach einer aufrecht gehenden, selbstbewußt männlichen und zugleich selbstreflexionsfähigen, freundlich wohltätigen und politisch handlungsfähigen Generation von Männern – der Wille, zu einer solchen Generation zu gehören und sie in sich hervorzubringen – ist das dringende Gefühl, das der Leser aus seiner Lektüre davonträgt. Was man als die psychotherapeutische “Männerbewegung” kennt (und allzuoft belächelt), publizistische Projekte wie das von Herb Goldberg in den USA oder Ralf Bönt in Deutschland sind erste Schritte auf einem Weg, den David Shields Leserinnen und Lesern paradoxal aufzeigt, indem er in zwei tiefschwarzen Büchern zwei konträre und zugleich voneinander abhängige Sackgassen psychischer Entwicklung entschlossen und unerschrocken bis zum ihrem dunklen Ende verfolgt hat. Vermutlich kann der noch geträumte dritte Band dieser Trilogie nur von uns allen – Männern und Frauen, Müttern und Vätern – und nur in der Realität geschrieben werden.